Provokant – Authentisch – Agil
Wie Sie Mitarbeiter humorvoll aus der Reserve locken
Zugegeben, der Titel ist eine kleine Provokation. Doch wofür Michael Hübler in seinem Buch plädiert, ist das ehrliche und doch wertschätzende Austragen von Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten. Wir haben uns mit dem Autor über falsche Höflichkeit und echte Streitkultur unterhalten.
Herr Hübler, bei all den Managementratgebern, was hat der Welt ohne dieses Buch bislang gefehlt?
Also bestimmt kein neuer Führungsstil. Davon gibt es schon genug: Führen nach dem Big-Five-Modell, emotional-kompetentes Führen, … Da könnte ich noch eine halbe Stunde referieren, um alle aufzuzählen. Was mich persönlich bei den ganzen Führungsstilen stört: Sie sind weitgehend mitarbeiterfokussiert und haben wenig mit den Führungskräften selbst zu tun. Ich will lieber über Führungshaltungen reden. Ich möchte, dass die Leute offener und ehrlicher miteinander umgehen und eben auch ein wenig provokanter.
Was ist so problematisch an einer heilen Welt, in der sich alle lieb haben?
Ich selbst komme aus dem pädagogischen Bereich und arbeite heute noch viel mit Pädagogen, Psychologen, aber auch mit Menschen aus dem Verwaltungsbereich zusammen. Das sind, anders als auf dem Bau oder in der Industrie, nach meiner Erfahrung eher weiblich dominierte Bereiche mit einer eigenen Kommunikationskultur. Was ich in der Vergangenheit selbst als Teamleiter erlebt habe und noch heute als Coach, Mediator und Berater erlebe, das ist so ein mühevoller Eiertanz – man möchte den anderen nicht auf die Füße treten, hat bei allem, was man sagt, eine Schere im Kopf.
Andere nennen es Wertschätzung oder Höflichkeit?
Die Leute haben eher Angst davor, bei anderen anzuecken. Da gibt es vier Stunden lange Meetings und man dreht sich doch nur im Kreis, weil sich keiner traut, zu sagen, was einmal gesagt werden muss.
Auf dem Bau geben sie sich eins auf die Mütze und dann trinken sie gemeinsam ein Bier. Diesen spielerischen Umgang mit Konflikten gibt es auch in anderen Leistungsbereichen, besonders im agilen Umfeld. Da kommen auch schon mal fiese Spitzen, wenn sich die Leute regelmäßig gegenseitig provozieren à la: „Och, bist du noch net so weit! Schaffst du’s denn heuer noch?“ Die Leute nehmen das aber nicht krumm. Das sind Redensarten zum Empowern, um den Turbo einzuschalten.
Was wäre denn eine mögliche Lösung im Falle endloser Meetings?
Neulich hat mir einer von einem Zivi im Team erzählt. Der Zivi war Schreiner, glaube ich, jedenfalls aus dem handwerklichen Bereich. Der ist nach einer halben Stunde aufgestanden und hat gesagt: „Leute, bringt doch hier alles nichts. Ich geh heim und komme morgen wieder.“ Eine schöne Provokation, um alle wachzurütteln und zu fragen: „Was ist überhaupt das Thema?“
Wir leben in unglaublich komplexen Zeiten, da kann man sich schnell verrennen. Gerade in schwierigen Situationen, bei Konflikten mit Kunden, internen Machtkämpfen etc., müsste immer mal wieder einer aufstehen und sagen: „Stopp mal, worum geht’s hier eigentlich?“
Aber ist das dann überhaupt authentisch, wenn man anderen gar nicht gern auf die Füße tritt?
Authentizität ist meines Erachtens keine Frage der Persönlichkeit, sondern eine Frage der Situation. Wir können alles! Man muss sich nur klarmachen, wann! Wann planst du, wann hast du tolle Ideen, wann hörst du gut zu. Oder drastisches Beispiel: Rumschreien. Da findet jeder irgendwas. Das kann im Auto sein, mit seinem Kind, … Das Potenzial dazu haben wir alle, wir müssen uns dessen nur bewusst werden und es zum richtigen Zeitpunkt einsetzen.
Ich denke, jeder kennt Personen, denen nimmt man ein provokantes Auftreten überhaupt nicht ab.
Jeder hat natürlich seine ganz eigene Art der Provokation. Der eine ist eher assoziativ, macht spontane Witze, weiß auf jedes und alles einen Gag. Ein anderer ist eher kämpferisch, idealistisch eingestellt. Es gibt Leute, die eher strategisch, planerisch vorgehen. Und dann gibt’s halt noch welche, die können super zuhören. Das Beste ist jedoch: Wir sind nicht auf einen Typen festgelegt. Wir können pendeln! Wir können je nach Situation mit diesen Typen spielen.
Ich sollte mit meiner natürlich Provokation immer ein Ziel haben: Für bessere Stimmung sorgen, jemanden aus der Rerserve locken, aus dem vorhin genannten Teufelskreis ausbrechen – in der Kommunikation mit meinen Mitarbeitern einen Schritt weiterkommen.
Es ist vorhin ja bereits angeklungen: Wie prägen denn tradierte Geschlechterrollen die Kommunikation?
Die sind meines Erachtens deutlich wahrnehmbar. Wenn ich hier allerdings von Frauen oder Männern spreche, ist hoffentlich klar, dass ich nie alle meine, sondern mich auf Statistiken beziehe.
Je nach Setting oder Branche setzen die Leute Humor anders ein. In der statusorientierten Männerwelt heißt das: Wer lacht mit wem? Typisches Beispiel: Der Chef macht einen Witz, wer lacht mit? Oder eben, wie schon erwähnt, Humor als Turbo im leistungsorientierten Umfeld. Bei Frauen, meinetwegen im pädagogischen Umfeld oder in der Verwaltung, ist es häufig so, dass Humor mehr zur Beziehungsförderung eingesetzt wird und weniger, um andere zu provozieren. Der Humor ist hier generell etwas sanfter.
Andererseits ist es nun mal so, wenn Frauen auf männerdominiertem Gebiet unterwegs sind, gibt es Spielregeln, die eben schon da sind. Ob das nun allgemein kommunikative oder rein körpersprachliche Spielregeln sind. Und da empfehle ich grundsätzlich, sich zwar nicht vollkommen den Spielregeln anzupassen, aber diese zu nutzen, um sich zu positionieren.
Ist das nicht eine echte Herausforderung, wenn man eine andere Auffassung von Humor sein eigen nennt?
Besonders für Vorsichtige gilt: Ich verletze den anderen nicht unbedingt, wenn ich ihm wie im Beispiel vorhin mal „eins auf die Mütze gebe“, weil viele Männer das gar nicht als Provokation wahrnehmen. Dennoch schrecken manche Frauen innerlich zurück und denken: „Das kann ich nicht bringen, damit stoße ich dem anderen doch vor den Kopf.“ Ich empfehle, diese Zensurschere einfach mal wegzulassen und mit so einer schönen aufrichtigen Doppelhaltung, zum Beispiel einer liebevollen Ehrlichkeit, dem anderen die eigene Meinung zu sagen. Und dann abzuwarten, wie es weitergeht.
Ich muss auch nicht immer diese Angst haben, dass das negative Konsequenzen haben könnte. Ich kenne kaum jemanden, der wegen Frechheit gekündigt wurde. Da gibt es ganz andere Gründe. Viele Frauen haben einen ganz tollen Humor, vielleicht sogar mehr Humor als Männer, aber sie könnten den Tiger ruhig öfter von der Leine lassen.
Vielleicht ist es ja nicht die Angst vor Konsequenzen, sondern eine Frage der Angemessenheit?
Es gibt da so eine komische Denke, nämlich Humor wäre unehrlich. Denn wenn ich etwas humorvoll sage, dann meine ich es ja nicht ernst. Dabei erlaubt Humor oftmals eine viel offenere und glaubwürdigere Kommunikation.
Mit Humor kann ich auch auf schwierige Mitarbeiter zugehen und mit theatralisch überspitzter Geste rufen: „Du nervst!“ Und dann in ernsthaftem Ton das Gespräch suchen: „Okay, und wie gehen wir jetzt damit um?“ Eine solche Art der Kommunikation ist gar nicht so schwer. Und das Schöne: Sie lässt dir selbst die Authentizität, mildert aber zugleich Kritik auf ein für Mitarbeiter erträgliches Maß.
Sind klassische Mitarbeitergespräche Ihrer Ansicht nach vollkommen witzlos?
Ich würde mir wünschen, dass man Humor in Mitarbeitergesprächen als Chance sieht. Dass man sagt: Wir haben jetzt ein Mitarbeitergespräch und wir hauen uns jetzt ernsthaft und ehrlich, humorvoll und provokant unsere Fragen, Zweifel und Erwartungen um die Ohren, denn das hier ist der Trainingsbereich. Ähnlich wie im Gamification-Ansatz.
Stattdessen habe ich das Gefühl, es gibt in den Unternehmen regelrechte Nichtangriffspakte. Es könnte ja unangenehm werden, wenn ein Mitarbeiter zugibt, dass er in diesem oder jenem Bereich Probleme hat. Dabei lässt man keine Boxer in den Ring und keine Fußballmannschaft auf den Platz, bevor die nicht gescheit trainiert haben. Und da wird auch nicht gejammert, der Trainer hätte sie zu hart angepackt.
Hier mit provokantem Humor den Leuten die Preisgabe ihrer Schwächen herauszukitzeln, finde ich ganz wichtig. Dass man den Leuten klarmacht, jetzt ist noch alles Spiel und hier ist alles möglich, hier und jetzt ist die Chance zum Trainieren – nicht nachher, wenn’s ernst wird, draußen beim Kunden.
Auch auf die Gefahr hin, dass man Mitarbeiter verliert?
Ich glaube nicht, dass man die Leute so verliert. Die verliert man aus ganz anderen Gründen: Weil sie nicht ernstgenommen werden, weil man nicht authentisch ist. Und es gibt Leute, die fühlen sich erst dann ernst genommen, wenn man ihnen gegenüber ein bisschen provokant ist, sie herausfordert.
Die Machtspielchen der Männer im statusorientierten Umfeld mitzumachen, da kann ich mich anbiedern oder mit Humor arbeiten. Da lässt sich nicht viel verlieren, aber viel gewinnen. In einem leistungsorientierten Umfeld wie den agilen Scrum-Teams ist Humor fast schon Pflicht. Am gefährlichsten ist das Thema da, wo es eigentlich am nötigsten wäre, in diesen eher harmonischen und beziehungsorientierten Bereichen. Bevor ich da Spitzen austeile, sollte ich klar gemacht haben: „Ich meine es nicht böse. Aber gerade weil ich dich mag, muss ich dir jetzt einfach mal verbal eine klatschen, damit du dich nicht verrennst.“
Es geht darum, mehr als eine Seite von mir als Führungskraft zu zeigen, was mich greifbarer und auch nahbarer macht. Und das ist wahnsinnig wichtig für die Beziehungsarbeit mit Mitarbeitern.
Herzlichen Dank für das Interview!
Michael Hübler war sechs Jahre lang als Führungskraft im Non-Profit-Bereich tätig, bevor er sich 2006 als Coach, Trainer, Mediator und Autor selbständig machte. Seitdem arbeitet er für diverse Unternehmen, soziale Träger, Stadtverwaltungen und Universitäten und ist spezialisiert auf Führungs- und Kommunikationsthemen, insbesondere Neuroleadership, Führen auf Distanz oder Führen in agilen Kontexten. Michael Hübler verfasste mehrere Bücher, unter anderem Provokant, authenthisch, agil und New Work: Menschlich, demokratisch, agil. Sein Credo lautet: Wissensvermittlung mit Humor.
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