Führen mit Hirn
Der Kulturwandel in Unternehmen beginnt immer beim Chef
Zugegeben: Die Verknüpfung von Management und Neurowissenschaften ist nicht ganz neu. Dass eine gute Unternehmensführung reine Kopfsache sei, ist Grundlage einer ganzen Beratungsindustrie. Management- und Organisationsberater Sebastian Purps-Pardigol hat dennoch ein lesenswertes Buch darüber geschrieben, wie sich Mitarbeiter begeistern und dadurch auch der Unternehmenserfolg steigern lassen.
Alles begann vor gut fünf Jahren: Der Göttinger Neurobiologe Prof. Dr. Gerald Hüther und Führungskräftecoach Sebastian Purps-Pardigol gründen die Initiative Kulturwandel in Unternehmen und Organisationen. Ausschlaggebend dafür war die Einsicht, dass mit Eintritt in das 21. Jahrhundert ein Umdenken in allen Bereichen der Gesellschaft – auch und vor allem in der Wirtschaft – längst überfällig sei. Warum? Die Steigerung von Entwicklungsgeschwindigkeit und Innovationstempo führen zu einem rapiden Anstieg der Komplexität, die laut einer Studie von IBM für 1.500 CEOs weltweit die größte Herausforderung ist, der sich Unternehmen derzeit stellen müssen.
Und da sind wir auch schon beim Hirn, denn laut Hüther, der als Freund und Mitstreiter das Vorwort zum Buch geschrieben hat, „funktionieren Unternehmen und Organisationen nicht viel anders als ein Gehirn. Auch sie verfügen über ein Potenzial, das erheblich größer ist als es in ihren Bilanzen zum Ausdruck kommt. Auch hier geht prinzipiell noch deutlich mehr – allerdings nicht durch noch mehr Leistungsdruck oder noch besseres Controlling.“ Die Lösung zur Bewältigung dieser Komplexität liegt für Hüther und Purps-Pardigol in der Entfaltung versteckter Potenziale, in begeisterungsfähigen und kreativen Mitarbeitern.
Veränderung der Führungs- und Beziehungskultur im Unternehmen
Weshalb sich die Frage stellt: Wie hebt man diese Potenziale? Welche Faktoren der Unternehmensführung sind wesentlich für zufriedenere, gesündere Mitarbeiter und damit indirekt für mehr wirtschaftliches Wachstum? Die Initiatoren haben Unternehmen des Gelingens als Fallbeispiele zusammenzutragen, Purps-Pardigol die daraus gewonnen Erkenntnisse wissenschaftlich angereichert und in einem Buch zusammengefasst. Der psychologische Trick dabei: Nicht allein die wissenschaftlichen Fakten sollen Führungskräfte vom Wandel überzeugen, sondern vielmehr sollen Unternehmen mit Vorbildcharakter Ideengeber und Inspirationsquelle sein.
Sebastian Purps-Pardigol sprach mit Mitarbeitern wie Führungskräften – in über 150 Interviews kamen dabei die unterschiedlichsten Sichtweisen zu Wort. Er traf Firmeneigentümer mit 40 Mitarbeitern, aber auch Geschäftsführer von Konzernen mit einer Belegschaft von 50.000 Leuten. Dazu gehören unter anderen Eckes-Granini Deutschland, Upstalsboom, Phoenix Contact, Weleda und dm. Die Essenz seiner Recherche sind sieben Faktoren, die den Wandel unterstützen und die das Buch in einzelne Kapitel gliedern:
- Urknall – Sie sind der Mensch, bei dem der Wandel beginnt
- Zugehörigkeit – Menschen möchten sich verbunden fühlen
- Entfaltung und Gestaltung – Menschen möchten sich einbringen
- Vertrauen – Menschen brauchen jemanden, der an sie glaubt
- Erfahrungen – Menschen wachsen, wenn sie gefordert sind
- Sinnhaftigkeit – Menschen erhalten Zugriff auf ihre Ressourcen
- Achtsamkeit – Menschen finden zu sich zurück
Der Hype um Neuroleadership
Man kann darüber streiten, ob es dafür wirklich der „neuesten Erkenntnisse aus Hirnforschung, Psychologie und Verhaltensökonomie“ bedarf. Das Schweizer Personalmagazin HR Today betitelte ein Interview zu Recht mit Purps-Pardigols Satz: „Die Neurobiologie bestätigt, was viele von uns intuitiv wissen.“ Bei all dem Hype um „Neuroleadership“ und „gerhirngerechtes Führen“ ist man mitunter versucht zu glauben: Hier wird der Mensch zur Laborratte degradiert. Auch ist es von fraglicher Relevanz zu wissen, ob der Hypothalamus das Bindungshormon Oxytocin ausschüttet oder nicht. Molekulare und zellbiologischen Grundlagen nützen im Management-Alltag wenig, verleihen dem Inhalt des Buches aber die Aura hoher Wissenschaft – und das ganz ohne zu ermüden. Tatsächlich zieht das Buch seinen Reiz nicht aus fragwürdigen Statistiken wie diesen:
- „Erlebt ein Mitarbeiter mehr Sinnhaftigkeit in seiner Arbeit, steigert sich die Leistungsbereitschaft um bis zu 300 Prozent.“
- „Bereits das Gefühl, Teil eines Teams zu sein, erhöht nachweislich die Leistungsbereitschaft um 50 Prozent.“
- „Multitasking reduziert den IQ vorübergehend um bis zu 10 Punkte.“
- „Vertraut ein Mensch mehr in seine eigenen Fähigkeiten, kann sich die kognitive Leistung bis um zu 53 Prozent erhöhen.“
Es sind die Praxisbeispiele, die „Führen mit Hirn“ so interessant machen. Denn für den Wandel gibt es keine konkrete Formel. Er kann nur gelingen, wenn er mit Authentizität und aus der inneren Überzeugung heraus auf den Weg gebracht wird. Dafür bedarf es der intensiven Auseinandersetzung mit den persönlichen und unternehmerischen Zielen sowie dem eigenen Führungsverhalten. Bei beidem hilft die Lektüre dieses Buches.
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