Fehlanzeige Vielfalt
100 Jahre Frauenwahlrecht – eine Bestandsaufnahme
Nach Fortschritten im Schneckentempo und Stagnation müssen wir uns heute einem Rückgang der weiblichen politischen Teilhabe stellen. Außerdem gibt es kaum Vielfalt unter den Abgeordneten – kann unsere Gesellschaft auf diese Weise gut repräsentiert und vertreten werden?
Auch 100 Jahre nach Beschluss und Einführung des Frauenwahlrechts (Beschluss im November 1918 und Einführung am 19. Januar 1919) ist die Sitzverteilung im deutschen Parlament mit knapp 31 Prozent Frauenanteil noch lange nicht ausgeglichen. Zwar sind Frauen nicht mehr die exotische Ausnahme, aber eben auch nicht die Regel. Eine Bundeskanzlerin allein macht die Politik nicht zum gleichberechtigten Feld.
Der Faktor Zeit
Die Zeit scheint hier eine untergeordnete Rolle zu spielen, denn in den letzten Jahren ließ sich eher eine Stagnation, wenn nicht sogar ein Rückgang der politischen Teilhabe von Frauen beobachten. 1919 betrug der Frauenanteil 8,7 Prozent. Heute sehen die Zahlen folgendermaßen aus:
Kommunalebene
25 Prozent Frauen in kommunalen Vertretungen
10 Prozent (Ober-)Bürgermeisterinnen
Landesebene
30 Prozent Frauen in den Landtagen
Spannbreite von 41 Prozent in Thüringen bis 25 Prozent in Baden-Württemberg
3 Ministerpräsidentinnen
Bundesebene
31 Prozent weibliche Abgeordnete
fraktionelle Spannbreite von 11 Prozent bei AfD bis zu 58 Prozent Bündnis 90/Die Grünen
7 Prozentpunkte weniger weibliche Abgeordnete als im vorherigen Bundestag
Die aktuellen Zahlen zeigen deutlich, dass Abwarten keine geeignete Maßnahme für Parität in der Politik ist. Seit etwa 20 Jahren stagniert die Frauenrepräsentanz in Politik und Parlamenten und ist sogar seit Kurzem wieder rückläufig. Daraus ergibt sich, dass die Maßnahmen des Empowerments von Frauen zwar notwendig, jedoch nicht hinreichend sind, denn die Binnenstrukturen und –kulturen von Parteien oder Wählergemeinschaften können durch diese nicht beeinflusst werden. Sie bestimmen aber über die Aufstiegschancen von Frauen: Hier wird gesteuert, ob Frauen auf Wahllisten beziehungsweise für Direktmandate innerparteilich nominiert werden. Ein Kulturwandel in den Parteien ist also notwendig.
Die Wegbereiterinnen
Das Wahlrecht für Frauen wurde bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts von politischen Wegbereiterinnen wie Anita Augspurg, Marie Juchacz, Helene Lange oder Clara Zetkin erstritten und erkämpft. Die tatsächliche Gleichstellung der Frau in der Verfassung folgte jedoch erst viele Jahre später. 1949 setzten die vier Mütter des Grundgesetzes, Elisabeth Selbert, Helene Weber, Frieda Nadig und Helene Wessel Artikel 3 „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ im Grundgesetz durch.
Die Einführung des Wahlrechts für Frauen war ein Meilenstein auf dem Weg zur Gleichberechtigung von Mann und Frau. Jahrzehntelang haben mutige Frauen dafür gekämpft, bis es im Jahre 1918 durchgesetzt wurde. Viele weitere wichtige Schritte zur Gleichberechtigung folgten. Trotz aller Anstrengungen: Noch sind wir nicht am Ziel. Lassen Sie uns gemeinsam – Politik, Wirtschaft, Kultur und Zivilgesellschaft, Vorgesetzte und Kollegen, Frauen und Männer – nachdrücklich daran arbeiten, dass Frauen und Männer in allen Bereichen die gleichen Chancen erhalten und diese auch tatsächlich nutzen können.
Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, Vorsitzende der CDU Deutschlands
Die Einführung des Frauenwahlrechts war ein Meilenstein beim Kampf für Frauenrechte. In den letzten 100 Jahren haben wir in Sachen Gleichstellung viel erreicht, aber wir sind noch nicht am Ziel: Frauen verdienen immer noch deutlich weniger als Männer. Die Parlamente spiegeln noch nicht die Bevölkerung wider. Deshalb kämpfen wir weiter für mehr Gleichberechtigung und mehr Demokratie!
Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Stellvertretende SPD-Parteivorsitzende
Vielfalt in der Politik
Wie modern und weltoffen zeigt sich Deutschland in seiner Politik oder genauer im Bundestag? Gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil (rund 23,6 Prozent) sind Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund sowohl im Bundestag als auch in den Landes- und Kommunalparlamenten deutlich unterrepräsentiert. Auf Bundesebene stammen nur 8,2 Prozent der Abgeordneten aus Einwandererfamilien. In den Landtagen stellen Politiker mit Migrationsbezügen durchschnittlich nur 4,5 Prozent der Abgeordneten (Zahl aus 2015). Über die Teilhabe auf kommunaler Ebene gibt es keine aktuellen Erhebungen. Die letzte Studie stammt aus dem Jahr 2011: 4 Prozent der Stadtratsmitglieder hatten einen Migrationshintergrund. Ihr Anteil an der großstädtischen Gesamtbevölkerung lag damals bei durchschnittlich 27 Prozent. Das heißt in der deutschen Politik gibt es noch viel zu tun. Um eine inklusive Politik zu machen und wirkliche Verbesserungen für die gesamte Gesellschaft zu erreichen, fehlt es dem Bundestag, so wie er heute aufgestellt ist, an einem breiten Spektrum der Perspektiven.
Quellen und weitere Informationen unter www.frauen-macht-politik.de und www.mediendienst-integration.de
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Gleich und gleich gesellt sich gern
Das will ich auch
Es geht nur schleppend voran