Menschen für Menschen in der Gastronomie
Ist die Gastronobranche noch zu retten?
Die Gastronomiebranche wird immer unattraktiver für Arbeitnehmer. Was können wir tun, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern und um wieder mehr Menschen dafür zu begeistern? Wir sprechen mit Bettina von Massenbach.
Liebe Frau von Massenbach, mit Ihrer Beratungsfirma Oyster Hospitality Management versprechen Sie Ihren Kunden „Rettung beim Thema Personal“. Wovor muss die Gastronomie gerettet werden?
In erster Linie vor sich selber. Im Verlauf seiner Geschichte hat sich kaum eine andere Branche so schlecht verkauft wie Hotellerie und Gastronomie. Das Ergebnis sieht man heute: Es fehlen bis zu 1 Million Mitarbeiter, um dem Gästeansturm gerecht werden zu können. Die ersten Hotels und Restaurants müssen schließen – nicht wegen fehlender Gäste, sondern aufgrund mangelnder Mitarbeiter. Es wurde bei jeder Gelegenheit darauf hingewiesen, dass man endlos Überstunden schrubbt, dabei angeschrien wird und bereits am dritten Tag mit einem Bandscheibenvorfall rechnen kann. Wer tut sich das freiwillig an? Viel zu wenig wird auf die Besonderheit der Branche hingewiesen: mit Menschen für Menschen.
Sind diese Probleme in der HoGa-Branche anders als anderswo?
Ja, die Arbeitsbedingungen sind extrem – grundsätzlich. Dennoch, und hier kann ich nur immer wieder auf das betriebliche Gesundheitsmanagement verweisen, ist es möglich, zum Beispiel einen Dienstplan über drei Monate im voraus zu gestalten, damit Mitarbeiter ihr Privatleben planen können. Ob in der Industrie, der Finanzwelt – egal, überall wird verstärkt auf die Bedürfnisse eines jeden einzelnen Teammitgliedes Rücksicht genommen, um sie an den Arbeitgeber zu binden. Es gibt aus meiner Perspektive keinen Grund, warum dies nicht für das Gastgewerbe gelten soll.
Aber es ist Licht am Ende des Tunnels: Die ersten Betriebe richten sich primär nach ihrem Personal aus. Und diese werden bereits nach kurzer Zeit belohnt mit Umsatzsteigerungen (der Gast spürt die Zufriedenheit der Mitarbeiter) und mit Wartelisten an Mitarbeitern, die sich gerne für diesen Arbeitgeber engagieren möchten. Ist doch der Wahnsinn!
Welche Unterstützung bieten Sie dabei an? Und auf welche Erfahrungen greifen Sie zurück?
Zwölf Jahre habe ich in der internationalen Spitzengastronomie hinter der Küche gearbeitet. Jeden Tag konnte ich live on „back stage“ beobachten, was von den Künstlern am Herd geleistet wurde – und wie gering die Wertschätzung oft ausgefallen ist. Diese Einblicke haben mich dazu bewogen, mich aktiv für diese Berufsgruppe einzusetzen, und meine wissenschaftlichen Kenntnisse durch die Weiterbildung zum betrieblichen Gesundheitsmanager zu erweitern.
Ich habe mir mit OYSTER hospitality management zum Ziel gesetzt, diese Arbeitgeber beim Change-Prozess zu begleiten. Ihnen zusammen mit deren Teams eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich jeder wohl fühlt. Das ist die Basis für Leistungssteigerungen und Personalmarketing. Es spricht sich durch Mund-zu-Mund-Propaganda sehr schnell herum, dass man seiner Tätigkeit gerne nachgeht. Diesen Wert, ein positives Arbeitgeberimage, unterschätzen viele Unternehmer.
Wie machen Sie die Branche attraktiv für motivierte, gut ausgebildete Mitarbeiter?
Man liest es immer häufiger: Führungskompetenz, Kommunikation von Feedback und Erwartungen, Team Building. Ja, es ist wegweisend, wie man sich selber führt. Wenn das Ergebnis überzeugend ist, dann bin ich auch in der Lage, auf die Bedürfnisse meines Teams einzugehen. Dazu gehört, sich für jeden Einzelnen zu interessieren. Und dies geschieht über Kommunikation. Wie der Schwabe sagt: „Schwätzet se halt mitrenander …!“ Im Gastgewerbe spielt das Miteinander eine besonders wichtige Rolle, da man alleine keinen Blumentopf unter diesen Bedingungen gewinnen kann – und muss. Wenn ich mich mit meinen Kollegen auf freundschaftlicher Weise verbunden fühle, erkennen diese, wenn man einen schlechten Tag hat. Ob es Liebeskummer ist, der Sportverein auf dem Abstiegsplatz steht oder ob es der Großmutter nicht gut geht – das spüren nur meine Freunde. Und die sind dann auch gerne bereit, einzuspringen und Aufgaben zu übernehmen.
Die Branche hat noch immer den Ruf, in den Entscheidungspositionen sehr männlich dominiert zu sein. Was raten Sie Frauen, die hier Karriere machen möchten?
Das Schöne ist, das durch den Fachkräftemangel jede Unterstützung mit Kusshand genommen wird. Das klingt zunächst nicht besonders wertschätzend gegenüber dem weiblichen Geschlecht. Wir Frauen sollten uns immer wieder, am besten täglich, darüber bewusst werden, dass unsere Fähigkeit zum Einfühlungsvermögen uns einen Wettbewerbsvorteil einbringt, bei dem jeder männliche Kollege nur vor Neid erblasst. Und hier gilt mein Rat: sichtbar machen. Bereits in den ersten Gesprächen über Menschlichkeit sprechen, sich für den Gesprächspartner interessieren durch Fragen, die über das Berufliche hinausgehen. Wir wollen alle als individuelle Menschen wahrgenommen werden und entsprechend auch geschätzt werden.
Vielen Dank für das Gespräch!
Bettina von Massenbach hat OYSTER hospitality management 2012 in München als Beratungsunternehmen für die Gastronomie gegründet. Zuvor sammelte sie langjährige Erfahrungen als Manager Operations im Tantris (München) und in den Londoner Restaurants Zuma und Roka. Die Expertin verbindet hautnahe Erfahrung aus der Praxis mit Betrieblichem Gesundheitsmanagement sowie mit Kommunikation und Marketing.